In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 70.000 Frauen an Brustkrebs. Für rund 25 Prozent der betroffenen Frauen ist eine Brustamputation (Mastektomie) aus medizinischen Gründen unumgänglich. “Eine Mastektomie bringt eine enorme zusätzliche – vor allem psychologische – Belastung mit sich”, betont Brustkrebsexperte Dr. med. Andreas Cramer. “Betroffene Patientinnen leiden oft unter einem verminderten Selbstwertgefühl und einer veränderten Selbstwahrnehmung.”
Der Chefarzt und Leiter des interdisziplinären Brustkrebszentrums am Maindreieck Klinik Kitzinger Land, Bayern unterstützt die Kampagne “#wiederganzich”, initiiert von Bepanthen. Gemeinsam mit dem Tattoo-Künstler Andy Engel hat es sich die Kampagne zum Ziel gesetzt, Frauen mit Brustkrebs dabei zu helfen, sich nach einer Mastektomie wieder ganz als Frau zu fühlen.
Welche Faktoren das Brustkrebs-Risiko beeinflussen, worauf es bei der Vorsorge besonders zu achten gilt und welche Arten von psychoonkologischer Unterstützung im Ernstfall helfen, erklärt der renommierte Mediziner im Interview.
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Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung der Frau. Weshalb ist die weibliche Brust so anfällig?
Dr. Andreas Cramer: Sie ist besonders anfällig für Brustkrebs, da sie aus Drüsen-, Fett- und Bindegewebe besteht, das hormonellen Veränderungen unterliegt. Hormone wie Östrogen und Progesteron können das Wachstum von Brustzellen beeinflussen und das Risiko für Brustkrebs erhöhen. Zudem spielen genetische Faktoren, Umwelteinflüsse und Lebensstilfaktoren eine Rolle bei der Entstehung von Brustkrebs. Daher ist es insbesondere für Frauen wichtig, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen durchführen zu lassen und Risikofaktoren zu minimieren, um das Risiko für Brustkrebs zu reduzieren.
Was sind die größten Risikofaktoren für Brustkrebs?
Dr. Cramer: Neben der genetischen Prädisposition können auch Faktoren wie Übergewicht, Alkoholkonsum, Rauchen, ungesunde Ernährung und mangelnde körperliche Aktivität das Risiko erhöhen, an Brustkrebs zu erkranken. Ergänzend zu regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen ist ein gesunder Lebensstil ebenso empfehlenswert.
Wie oft und ab welchem Alter sollten Frauen ihre Brust abtasten und worauf gilt es hier besonders zu achten?
Dr. Cramer: Die ärztliche Tastuntersuchung der Brüste und Achselhöhlen bei der Frauenärztin oder dem Frauenarzt können Frauen ab 30 Jahren jährlich durchführen lassen. Außerdem können sie sich dabei zeigen lassen, wie sie sich auch selbst abtasten können. Die Selbstuntersuchung empfehlen wir einmal monatlich. Jüngere Frauen sollten sich circa eine Woche vor ihrer Periode selbst abtasten, denn dann ist das Brustgewebe weicher und besser abtastbar. Frauen, die mit der Pille verhüten, sollten sich zum Anfang einer neuen Monatspackung untersuchen. Für Frauen nach den Wechseljahren ist es empfehlenswert, sich regelmäßig, immer zum möglichst gleichen Zeitpunkt im Monat abzutasten. Knoten fühlen sich fest an und schmerzen in der Regel nicht. Außerdem ist auf ein verändertes Aussehen der Brust oder der Brusthaut, eine mögliche Veränderung oder Flüssigkeitsaustritt aus der Brustwarze zu achten. Sollte hiervon etwas zutreffen, ist unbedingt die behandelnde Frauenärztin oder der Frauenarzt zu konsultieren.
In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 70.000 Frauen an Brustkrebs. In rund 25 % der Fälle ist eine Mastektomie erforderlich. Für viele Frauen auch eine enorme emotionale Belastung. Welche Arten von Unterstützung sind für Patientinnen am hilfreichsten?
Dr. Cramer: Patientinnen mit der Diagnose Brustkrebs durchleben in aller Regel einen sehr langwierigen, anstrengenden und kräftezehrenden Therapie- und Leidensweg. Eine Mastektomie bringt eine enorme zusätzliche – vor allem psychologische – Belastung mit sich. Um hier Heilung sicherzustellen, werden heute viele, teils individualisierte Therapieschritte zu einem Gesamt-Therapiekomplex vereint. Für bestmögliche Heilungschancen scheint die Behandlung an einem zertifizierten Brustzentrum ein wichtiger Faktor zu sein. Dort ist eine optimale, leitliniengerechte und interdisziplinäre Behandlung durch Spezialisten aus vielen Teilbereichen der Medizin und begleitenden Berufsgruppen, wie zum Beispiel Physiotherapeuten, Sozialdienstmitarbeitern und Psychoonkologen gewährleistet.
Gerade nach einer Mastektomie ist die psychische Belastung groß. Betroffene leiden oft unter einem verminderten Selbstwertgefühl und einer veränderten Selbstwahrnehmung. In diesem Fall können Psychoonkologen helfen. Sie sind speziell dafür ausgebildet, Krebspatientinnen emotional und fachlich in dieser schwierigen Situation beizustehen. Sie helfen unter anderem im Umgang mit der Erkrankung, der Planung des neuen Lebensalltags, unterstützen beim Bewältigen von körperlichen wie seelischen Einschränkungen und Belastungen. Darüber hinaus stehen sie auch beratend für Angehörige zur Verfügung.
Sie unterstützen die Kampagne #wiederganzich, die sich gemeinsam mit dem Tattoo-Künstler Andy Engel zum Ziel gesetzt hat, Frauen mit Brustkrebs dabei zu helfen, sich nach einer Mastektomie wieder ganz als Frau zu fühlen. Wie genau sieht diese Kampagne aus?
Dr. Cramer: Vor über zehn Jahren lernte ich Andy Engel kennen – einen der weltweit bekanntesten und besten Tätowierer aus dem Bereich der 3D-Tätowiertechnik. Er erzählte mir von seiner Vision, Frauen nach einer Mastektomie und erfolgtem Wiederaufbau mit einem fotorealistischen Brustwarzen-Tattoo versorgen zu wollen. Es entwickelte sich eine lockere Zusammenarbeit und bereits in den ersten Jahren hat Engel mit seinen Tattoos viele Frauen in der Region sehr glücklich gemacht. Wir diskutierten immer wieder darüber, wie es möglich wäre, das nicht nur Frauen im fränkischen Umland zugutekommen zu lassen. Daraus entstand die Idee MedBWK – heute MedTattoo. Eine komplett neue Versorgungsstruktur, um bundesweit Brustwarzen-Tattoos mit strengen Qualitätskriterien anzubieten. Inzwischen wurden von uns über 25, von Andy Engel selbst ausgewählte, Tätowierer und Tätowiererinnen intensiv geschult und ausgebildet.
Durch die Kampagne #wiederganzich wird seit 2022 jährlich drei Frauen ermöglicht, eine kostenlose Brustwarzenrekonstruktion mittels Tattoo zu erhalten. Im Rahmen einer deutschlandweiten Ausschreibung können sich Betroffene bewerben. Eine Jury aus medizinischen Experten wählt schließlich drei Frauen aus, die von Andy Engel tätowiert werden. Die neue Ausschreibung für dieses Jahr läuft bereits seit 1. Juni – Interessierte können sich aber noch bis zum 19. Juli über www.wiederganzich.de bewerben.
Warum fehlt beim Wiederaufbau der Brust häufig eine abschließende Brustwarzenrekonstruktion?
Dr. Cramer: Der Wiederaufbau der Brust erfolgt in der Regel weit über ein Jahr nach Diagnosestellung. Zu diesem Zeitpunkt hat die Patientin bereits einen sehr anstrengenden, kräftezehrenden und emotional belastenden Therapieweg erfolgreich hinter sich gebracht. Die rekonstruierte Brust ist im Optimalfall optisch gut gelungen, doch es fehlt die mamilläre Region (Brustwarzenhof) und die Brustwarze – ein optischer Makel. Dieser sogenannte Areola-Komplex kann zwar operativ durch Hauttransplantationen unterschiedlicher Hautpartien rekonstruiert werden, die optischen Ergebnisse sind hierbei aber leider häufig suboptimal. Betroffene können sich nicht vollständig fühlen. Beim Blick in den Spiegel werden sie an die Erkrankung erinnert, den bisherigen Leidensweg und ein emotionaler Abschluss fällt häufig sehr schwer. Daher ist die Brustwarzenrekonstruktion mittels 3D-Tattoo eine großartige Möglichkeit, den Frauen zu einer besseren Selbstwahrnehmung und einem gestärkten Selbstwertgefühl zu verhelfen.
Welche Kosten übernimmt die Krankenkasse?
Dr. Cramer: Im Laufe der Zeit haben wir die Zusammenarbeit mit vielen zertifizierten Brustzentren und plastischen Chirurgen bundesweit intensiviert. Auch die gesetzlichen Krankenkassen sind nach intensiven Verhandlungen immer häufiger bereit, diese Mamillen-Rekonstruktion ihrer Versicherten durch MedTattoo zu bezahlen. Die Kosten für eine Rekonstruktion sind bei jeder Frau individuell. Nach vielen Jahren Aufklärungsarbeit haben wir erreicht, dass etwa 60 Prozent der Krankenkassen die gesamten Kosten übernehmen, weitere 20 Prozent beteiligen sich anteilig.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs nach einer Mastektomie zurückkehrt?
Dr. Cramer: Durchschnittlich erleidet eine von zehn brustkrebserkrankten Frauen innerhalb von zehn Jahren nach brusterhaltender Operation und Bestrahlung ein Rezidiv – also ein erneutes Auftreten von Brustkrebs. Dies entsteht in der Regel durch ein wiederaufkommendes Wachstum von Krebszellen, die trotz Behandlung im Körper verblieben sind. Deshalb ist im Anschluss an die Therapie insbesondere eine gute Nachsorge von hoher Bedeutung, um ein mögliches Rezidiv frühzeitig zu erkennen und erfolgreich behandeln zu können.
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