Lemonbabies: “Plötzlich war ganz Deutschland für uns offen”

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Die Lemonbabies melden sich mit einem “Best of”-Album zurück. / Quelle: Joerg Grosse Geldermann

400 Konzerte in sieben Ländern, vier Alben und eine EP: Die Lemonbabies (“Carry On”) hatten 2001 eine beachtliche Karriere aufzuweisen. Dann gönnte sich die Berliner Band eine Pause – bis jetzt. Die vier Frauen Diane Weigmann, Julia Fensky, Barbara Mayer und Katharina Matthies brachten am Freitag (19. Februar) ein “Best of”-Album mit vier unveröffentlichten Songs heraus. Und damit nicht genug: Alle Veröffentlichungen der Lemonbabies sind seitdem auf allen Verkaufsplattformen und Streamingportalen verfügbar.

Für die Lemonbabies war das ein “lang gehegter Wunsch”, wie Katharina “Katy” Matthies im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erzählt. Außerdem verraten die Frauen, wie sie heute auf ihre Karriere zurückblicken und welchen Eindruck die Neunzigerjahre hinterlassen haben.

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Wieso war es für Sie an der Zeit, ein Best-of zu veröffentlichen und alle Alben und Songs auch auf Streamingportalen zur Verfügung zu stellen?

Katharina “Katy” Matthies: Das war ein bereits lang gehegter Wunsch. Als wir mit den Lemonbabies noch aktiv waren, konnte sich niemand vorstellen, dass nicht mal zwei Jahrzehnte später keiner mehr Tonträger kauft, sondern alle ihre Musik auf dem Handy hören und die Songs nur noch gestreamt werden. Daher existiert unsere Band inzwischen quasi nicht mehr. Das sollte sich ändern.

Diane Weigmann: Unbedingt, da schließe ich mich Katy an. Es wäre auch zu schade, denn bis heute fragen viele Fans oder alte Wegbegleiter nach der Musik. Und auch ich höre kaum noch CDs oder Platten, sondern bin natürlich extrem digital unterwegs. Es ist einfach schön zu wissen, dass es so ein bisschen der Nachwelt erhalten bleibt.

Barbara Mayer: Im Prozess ist uns dann aufgefallen, wieviel auch unveröffentlichtes Material es eigentlich gibt. Als wir daraufhin an unsere Fotokisten aus der Zeit gegangen sind, war auch klar, dass es eine liebevollere Gesamtaufarbeitung brauchte. Also eine neue Homepage, Social-Media-Kanäle und die Videos online stellen. Es war eine schöne Reise in die damalige noch analoge Zeit. Und auch in die Archive der anderen Lemonbabies zu schauen, war immer wieder eine Überraschung. Man hat ja doch so viel vergessen im Laufe der Zeit.

Wie erinnern Sie sich an die 1990er-Jahre zurück?

Weigmann: Die Zeit war wahnsinnig aufregend, es war die Zeit nach der Wende, es gab wahnsinnig viele illegale Clubs. Zwei einst geteilte Hälften Deutschlands sind wieder zusammengekommen und es gab eine Menge zu entdecken und auszutauschen. Plötzlich war ganz Deutschland für uns offen und wir konnten jeden Club, jedes Jugendheim, jede Kellerbühne bespielen. Das war vorher überhaupt gar nicht möglich. Ich hatte das Gefühl, dass auch gerade in den neuen Bundesländern viel an Musik- und Konzerterlebnissen nachgeholt wurde.

Mayer: Die 90er waren für mich unglaublich unbeschwert. Es war eine kurze Periode, in der man dachte, Kriege und gesellschaftliche Verwerfungen gehören der Vergangenheit an. Alles ist gut. Alles ist möglich. Und es wird jetzt einfach nur noch besser. Das macht rückblickend auch den Reiz dieser Zeit aus. Es war aber auch ein bisschen Attitüde, sich nicht in dem Maße wie man das heute tut für Politik- oder Umweltthemen zu interessieren.

Welche Gefühle kommen bei Ihnen hoch, wenn Sie Fotos aus den Erfolgszeiten der Lemonbabies sehen?

Weigmann: Was ich am besten finde, ist die Unbedarftheit, mit der wir an Sachen herangegangen sind. Man hinterfragt Sachen nicht in diesem Alter, sondern man macht sie einfach. Man geht ohne Hintergedanken und mit einer sehr großen Neugierde raus in diese Welt und macht da irgendwas zwischen Größenwahn und Erfindergeist. Die Tatsache, dass wir als Freundinnen so viele Abenteuer erleben konnten – ich vergleiche das manchmal wie eine zehn Jahre lange Klassenfahrt. Und wir haben dabei wirklich viel über das Leben gelernt und über andere Menschen. Das hält einen bis heute den Geist offen für vieles.

Matthies: Ich freue mich total, weil es einfach eine sehr tolle Zeit war. Ich bin sehr dankbar über all die Erfahrungen, die ich mit den Lemonbabies machen konnte. Und klar denke ich dann auch: “Oh wow, wie jung wir da alle waren.” Aber cool.

Mayer: Dankbarkeit, das alles erlebt haben zu dürfen. Es war eine überwältigende und aufregende Zeit für mich. Ich ging ja noch zur Schule, als ich Lemonbaby wurde. Und dann konnte ich plötzlich diesen Musikerinnentraum leben. Mit Plattenvertrag, Studio, Touren und Promoreisen. Auf großen Festivals zu spielen, andere Musikerinnen und Musiker kennenzulernen. Durch andere Länder zu reisen. Im Radio und im Fernsehen zu sein. Das hätte ich mir in dem Ausmaß nie zu träumen gewagt. Und als Künstlerin wahrgenommen zu werden. Eigene Lieder auf der Bühne zu spielen, wegen denen die Menschen im Publikum gekommen sind. Das war schon alles ziemlich unwirklich.

Als Sie 2001 die Karriere der Lemonbabies beendet haben, waren Sie im Schnitt 25 Jahre alt. Wie war es rückblickend für Sie, in solch jungen Jahren schon alles erreicht zu haben?

Matthies: Na ja, alles erreicht ist ja schon eine sehr positive Betrachtung. Ich denke, wir haben gelernt, selbstständig zu sein und unsere eigene Zukunft in die Hand zu nehmen. Egal, was Konventionen oder Eltern einem so einflüstern wollen. Ich arbeite bis heute selbstständig im Team mit Frauen und kann mir ehrlich gesagt auch nichts anderes vorstellen.

Weigmann: Wie Katy sagt: Man lernt darauf zu vertrauen, dass man allein in der Lage ist, über die Runden zu kommen. Auch ich bin bis heute selbstständig und habe in diesen Jahren gelernt darauf zu vertrauen, dass finanzielle Sicherheiten nicht so relevant sind und Geld doch immer den Weg zu dir findet, wenn auch in etwas unregelmäßigen Abständen. Und das lässt sich dann tatsächlich sehr gut aushalten, vor allem wenn man weiß, dass man dafür etwas machen kann, worin man sich ausdrücken kann und man sein eigener Chef ist. Das ist wirklich ein Luxus, das über sein Berufsleben sagen zu können.

Mayer: Wir hatten einerseits großes Glück und hatten andererseits aber auch eine wirklich gute Arbeitsdisziplin, mit der wir jede kleine Chance maximal ausgenutzt haben. Von dieser Disziplin und Zielstrebigkeit habe ich auch in meiner späteren beruflichen Laufbahn profitiert. Zudem haben wir sehr früh schon sehr viel Verantwortung übernommen. Da ging es nicht nur darum, sich irgendwie selbst zu verwirklichen, sondern sich auch an Zusagen zu halten.

Eine Platte muss bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geschrieben und produziert sein. Eine geplante Tour muss gespielt werden, egal, ob du jetzt krank bist oder müde. Das prägt einen und man tendiert eher dazu, sich für alles, was um einen herum passiert, zu sehr verantwortlich zu fühlen. Andererseits zeigt es einem auch auf, dass man zu wahnsinnig viel in der Lage ist, wenn man sich nur ordentlich reinkniet. Das gibt einem sehr viel Vertrauen in sich selbst.

(tae/spot)

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