Pohlmann verarbeitet in emotionalem Song Tod seines Bruders

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Pohlmann ist mit seinem neuen Album “falschgoldrichtig” zurück. / Quelle: Benedikt Schnermann

Pohlmann (48, “Wenn jetzt Sommer wär”) blickt mit seinem neuen Album “falschgoldrichtig” auf sein Leben zurück. Auch traurige Erlebnisse prägen den Longplayer: Das Lied “In Deinen Schuhen” hat der Sänger seinem Bruder gewidmet, der vor 23 Jahren verstorben ist. Welche Erinnerungen er noch immer mit ihm verbindet und wie er die Zukunft der Musikbranche nach der Corona-Krise einschätzt, erzählt Pohlmann im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

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Mit dem neuen Album rufen Sie zu Gelassen- und Besonnenheit auf. Warum ist Ihnen das gerade in diesen Zeiten so wichtig?

Pohlmann: Wir bekommen zunehmend einen Eindruck davon, wo es mit der Welt und dem Menschen hingehen könnte. Auf unseren Schultern lastet immer mehr Gewissen und politische Entscheider sind mitunter rabiat. Wir fühlen uns machtlos. Es entstehen Gräben zwischen den Menschen, denn die Meinungen driften auseinander. Die extremen Ansichten, die geschürt werden, verlangen von uns Haltungen, bis man sich für eine Seite entscheiden muss.

Es wird im Allgemeinen immer hitziger, was den Klimawandel angeht, und dem voraus auch das menschliche Miteinander. Und unsere Gesichter verdeckt hinter Masken machen es uns nicht einfacher. Wir bräuchten durchsichtige Masken, damit man den anderen lächeln sieht. Und wir müssen den aufkommenden Ängsten besonnen gegenübertreten, um uns Zeit zu verschaffen.

Auf Ihrem Album singen Sie auch über Ihren Bruder, der vor 23 Jahren gestorben ist. Warum war jetzt die richtige Zeit dafür, einen Song über ihn zu schreiben?

Pohlmann: Ich hatte Skrupel, diesen sehr privaten Teil meines Lebens mit der Musik und dann immer auch mit der Industrie dahinter zu vermischen. Ich habe nach langer Zeit einen emotionalen Blickwinkel einnehmen können, der es mir erlaubte, die Sache endlich anzugehen. Ich hörte Grönemeyers Song für seine Frau vor circa zwei Jahren in einem Baumarkt mal wieder. Ich war dabei, eine Bohrmaschine auszusuchen. Es erwischte mich so sehr und es war so schön, da in dem Baumarkt vor mich hin zu heulen. Und ich weine nicht oft.

Ich habe mir dann rausgenommen, auch ein musikalisches Zuhause für meine Trauerarbeit zu schaffen – und es war Trauerarbeit. Während des Schreibens und Aufnehmens im Studio ist mir so viel Gutes wieder eingefallen, und mein Bruder war mir wieder nah. Ich glaube, es hat seinen Wert, das zu tun. Auch für alle, die ein musikalisches Zuhause für ihre Erinnerungen suchen. Über Liebe wird viel gesungen, aber über den Tod auch. Wir haben aber ein ganz anderes Ding daraus gemacht als Herbert. Philipp Schwär (deutscher Musikproduzent, Anm. d. Red.) hat dem Ganzen eine starke positive musikalische Energie entgegengesetzt, eine andere Facette des Umgangs mit dem Tod. Ich lache und weine zugleich, wenn ich das Lied höre.

Was sind die schönsten Erinnerungen, die Sie an Ihren Bruder haben?

Pohlmann: Die Dusche! Wie im Song beschrieben. Die Disco und das letzte längere Gespräch unter einer Eiche, unter der wir das erste Mal das Wort “war” benutzt haben und wir plötzlich bemerkten, dass wir uns voneinander verabschieden. Das Lachen, wenn wir in jungen Jahren manchmal kifften. Und ansonsten brachte er meine Mutter so zum Lachen, dass es mit ihm die schönsten gemeinsamen Mittagessen waren, an die ich mich erinnern kann.

Sie stehen seit über 15 Jahren auf der Bühne. Auf welche Höhe- und Tiefpunkte blicken Sie zurück?

Pohlmann: Es gibt keine Tiefpunkte in dieser Geschichte. Zu keiner Zeit saß ich da und hatte das Gefühl, das war’s. Wir haben 15 Jahre lang einen Segelflug hingelegt, der mal über, mal unter einer Wolkendecke lag, aber in der Luft waren wir immer.

Seit fast fünf Jahren trinken Sie keinen Alkohol mehr. Vermissen Sie ihn nicht auch manchmal?

Pohlmann: Ich trinke manchmal wieder ein bisschen Wein. Ich war zum Glück kein Alkoholiker. Ich hatte für mich nur festgestellt, dass ich während des Trinkens kein Maß halten konnte. Nun, nach so langer Zeit hat man einen Blick auf sein Verhalten werfen können. Wenn ich jetzt ab und an einen weißen Wein trinke, kann ich mich viel besser beherrschen. Und ich trinke nur was zu ganz bestimmten Anlässen.

Größere Live-Auftritte sind erst wieder im Jahr 2021 möglich. Wie sehr fehlt Ihnen die Bühne in der Corona-Krise?

Pohlmann: Anfangs nicht so. Aber wir kommen jetzt doch in eine Langzeitproblematik, wenn ich es mal so ausdrücken darf. Ist es nicht auch ein bisschen egoistisch, Konzerte zu vermissen? Beklatscht zu werden und so. Ja und nein. Musik ist größer als wir. Wenn man ihr den nötigen Respekt entgegenbringt, ist es ein gemeinsames Eintauchen, das mit Publikum für alle, die daran teilhaben, tiefer gehen kann. Und das vermisse ich sehr. Ben Harper sagte mal: “You can fool people but you can’t fool music”. Darin steckt für mich eine Demut, die ich sehr ernst nehme.

Die Corona-Krise ist für die Musikbranche eine große finanzielle Belastung. Wie geht es Ihnen persönlich damit?

Pohlmann: Ich habe Rücklagen geschaffen durch meinen Sommerradiohit. Die halten mich über Wasser. Aber ich halte schon auch Ausschau nach einem Tauchgerät.

Wie wird sich die Corona-Krise Ihrer Meinung nach auch langfristig noch auf die Musikbranche auswirken?

Pohlmann: Das ist schwer zu sagen. Wenn es eine Normalität geben sollte, in die wir zurückkehren können, glaube ich, dass es ein bis zwei Jahre brauchen wird, dann könnte wieder alles so sein wie früher mit allem Drum und Dran. Sollte es weiter so gehen, war schon der Wechsel von Platte zur CD zum mp3 zum Streaming eine spezielle Entwicklung mit einer Menge Verlusten. Wenn dann auch noch das Livegeschäft wegfällt, das wäre fatal. Aber es werden sich schon wieder neue Wege finden.

(tae/spot)

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